Totschlagargument

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Als Totschlagargument oder Killerphrase bezeichnet man umgangs- und pressesprachlich ein Scheinargument, das anstelle eines Argumentum ad veritatem vorgebracht wird, um die Aufmerksamkeit des Diskussionsgegners bzw. des Publikums vom Kern des Themas auf einen irrelevanten Nebenaspekt abzulenken. Es erscheint im Gewand der apodiktischen Aussage, dass das vom Diskussionsgegner Behauptete bzw. Geforderte ganz und gar indiskutabel sei.[1]

Beide Ausdrücke – „Totschlagargument“ und „Killerphrase“ – haben im Deutschen etwa seit 1980 Verbreitung erlangt.[2]

In Argumentationstheorie und Rhetorik spricht man bei derselben Sache von „Red Herrings“ bzw. Relevanzfehlschlüssen (engl. fallacies of relevance, relevance fallacies).

Begriffsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Managementlehre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff killer phrase geht auf den Management-Theoretiker Charles Clark zurück, der ihn 1958 zum ersten Mal verwendet hat. Clarks Interesse galt der von Alex F. Osborn 1939 erfundenen Ideenfindungstechnik des Brainstorming, das Clark fortzuentwickeln suchte.[3] Als killer phrases bezeichnete er in diesem Zusammenhang solche Beiträge, die die Kreativität der Teilnehmer einer Brainstormingsitzung nicht befeuern, sondern ersticken. Beispiele:[4]

  • „Das haben wir schon immer so gemacht.“
  • „Das haben wir noch nie so gemacht.“
  • „Das wird nicht funktionieren.“
  • „Wir haben nicht genug Zeit …“
  • „Wir haben nicht genug Manpower …“
  • „Wir haben nicht genug Geld …“
  • „Wir haben das schon probiert …“
  • „Darauf sind wir noch nicht vorbereitet …“
  • „Klingt theoretisch gut, aber in der Praxis …“
  • „Zu akademisch“
  • „Was werden die Kunden denken?“
  • „Wenn die Idee gut wäre, hätte das jemand anders schon vorher gemacht …“
  • „Zu modern“
  • „Zu altmodisch“
  • „Lasst uns darüber ein andermal reden …“
  • „Ich verstehe euer Problem nicht …“
  • „Wir sind dafür zu klein.“
  • „Wir sind dafür zu groß.“
  • „Wir haben im Moment zu viele Projekte.“
  • „Lasst uns erst eine Marktstudie machen.“

Politologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nur wenig später als der Begriff Killerphrase entstand in der Politologie eine Bezeichnung für eine ganz ähnliche Sache, und zwar wiederum im Englischen: In seinem 1961 erschienenen Buch Thought Reform and the Psychology of Totalism schrieb der amerikanische Psychiater Robert Jay Lifton von „thought-terminating clichés“ (engl. für „gedankenbeendende Klischees“). In diesem Buch ging es um die eigentümliche Struktur der von der Kommunistischen Partei Chinas geschaffenen Sprache, in der Lifton acht totalitarische Themen identifizierte, darunter das thought-terminating cliché, das er als „Anfang und Ende jeder ideologischen Analyse“ (the start and finish of any ideological analysis) definierte. Als Beispiele nannte er u. a. Schlagwörter wie „Fortschritt“, „Befreiung“, „proletarisch“, „bourgeois“, „ausbeutende Klassen“, „kapitalistisch“, „imperialistisch“.[5]

Die Begriffe „Totschlagargument“ und „Killerphrase“ im Deutschen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Wort „Totschlagargument“ lässt sich im Deutschen seit mindestens 1981 nachweisen, wo populäre Zeitschriften wie Der Spiegel und Bunte zu seiner Verbreitung beitrugen. Wie die englische Entsprechung thought-terminating cliché wurde auch dieser Begriff zunächst vor allem auf Beispiele aus der Politik angewandt.[6][7] Schon in den späten 1990er Jahren begann die Anwendung sich aber auszuweiten. Der Begriff erschien nun nicht mehr nur im Zusammenhang mit politischen Sachverhalten, sondern bezeichnete zunehmend Argumente ad rem aus allen möglichen Lebensbereichen, etwa auch aus Managementlehre und Bildungswesen.[8][9]

Das deutsche Wort „Totschlagargument“ wird ins Englische heute meist als “knockout argument” übersetzt, wobei der im Englischen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verbreitete Ausdruck ursprünglich weniger ein manipulatives als vielmehr ein extrem schlagkräftiges Argument bezeichnet, das ein Redner sich für den Schluss aufhebt.[10]

Das Wort „Killerphrase“ kann im Deutschen seit mindestens 1982 nachgewiesen werden, wobei am Beginn die Clark-Rezeption stand und Killerphrasen als „Scheinargumente und Phrasen“ definiert wurden.[11] Schon sehr früh wurde der Kontext des Clarkschen Brainstorming aber auch verlassen und der Terminus „Killerphrase“ verwendet, um – generell – rücksichtsloses taktisches, allein aufs Gewinnen angelegtes Argumentieren zu bezeichnen, mit der Folge, dass ein Bedeutungsunterschied zwischen „Totschlagargument“ und „Killerphrase“ im Deutschen heute kaum noch zu erkennen ist.[12]

Mitte der 1980er Jahre fand im Deutschen auch der Ausdruck TINA-Prinzip (für There Is No Alternative, „es gibt keine Alternative“) Verbreitung. Während „Totschlagargumente“ und „Killerphrasen“ solche Argumente ad rem bezeichnen, mit denen Unerwünschtes als indiskutabel gebrandmarkt werden soll, geht es beim „TINA-Prinzip“ umgekehrt darum, etwas Erwünschtes als über jede Kritik erhaben herauszustellen. Auch hier handelt es sich um einen nicht fachsprachlichen Sprachgebrauch und in der Sache meist um Argumente ad rem. Bekannt geworden ist es in Deutschland durch den von Bundeskanzlerin Angela Merkel verwendeten Ausdruck „alternativlos“.[13][14]

Die drei Sätze „Das haben wir schon immer so gemacht“, „Das haben wir noch nie so gemacht“ und „Da kann ja jeder kommen“ werden im Deutschen umgangssprachlich auch als „Beamten-Dreisatz“ bezeichnet.[15]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Managementtheoretische Literatur

  • Charles Hutchison Clark: Brainstorming. Methoden der Zusammenarbeit und Ideenfindung. Verlag Moderne Industrie, 1973.

Sachliteratur

  • Antonia Cicero, Julia Kuderna: Clevere Antworten auf dumme Sprüche. Killerphrasen kunstvoll kontern; Powertalking in Aktion. Paderborn, 2001, ISBN 3-87387-455-5.
  • Meike Müller: Killerphrasen… und wie Sie gekonnt kontern. Verlag Eichborn, Frankfurt/Main 2003, ISBN 3-8218-5564-9.
  • Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger, Harald Böck: Das hat noch nie funktioniert. Die besten Killerphrasen von A wie „Aber“ bis Z wie „Zielgruppe“. Weinheim, 2005, ISBN 3-527-50197-5.
  • Hubert Schleichert: Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren. Anleitung zum subversiven Denken. 4. Auflage. Beck, 2004, ISBN 978-3-406-51124-0.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Totschlagargument – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Roman Leuthner: Manager-Jargon. Open Publishing, München 2015, ISBN 978-3-95912-035-7, S. 88 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. „Totschlagargument“, „Killerphrase“ und „Killerargument“ im NGram Viewer. Abgerufen am 24. Juli 2020.
  3. Charles H. Clark: Brainstorming. The Dynamic New Way to Create Successful Ideas. Wilshire Book Company, Northern Hollywood 1958.
  4. Charles H. Clark: Brainstorming. The Dynamik New Way to Create Successful Ideas. Abgerufen am 26. Juli 2020.
  5. Robert Jay Lifton: Thought Reform and the Psychology of Totalism. Norton, New York 1961, ISBN 0-8078-4253-2, S. 429 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Jens Birkmeyer: Bilder des Schreckens. Springer, 1994, ISBN 978-3-8244-4162-4, S. 75 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Dagmar Günther: Alpine Quergänge: Kulturgeschichte des bürgerlichen Alpinismus (1870-1930). Campus, Frankfurt, New York 1998, ISBN 3-593-36100-0, S. 179 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. Werner Pfeiffer, Enno Weiss: Lean Management: Grundlagen der Führung und Organisation lernender Unternehmen. 2. Auflage. Erich Schmidt, Berlin, ISBN 3-503-03678-4, S. 248 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  9. Karl-Wilhelm Weeber: Mit dem Latein am Ende?: Tradition mit Perspektiven. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-34003-6, S. 22 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. Editorials. In: the Medical Critic and Guide. Band 20, Nr. 1. New York Januar 1917, S. 6 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  11. Fallstudie Nr. 10: „Indeenfindung durch Brainstorming“. In: Jörg D. Thiede (Hrsg.): Fallstudiensammlung. Duncker & Humblot, Berlin 1982, ISBN 3-428-05221-8, S. 145–160, hier: S. 148 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  12. Paul-Ludwig Völzing: Metakommunikation und Argumentation. Oder: die Kunst, einen Drachen zu finden. In: Wolfgang Frier (Hrsg.): Pragmatik, Theorie und Praxis. Radopi, Amsterdam 1981, ISBN 90-6203-993-6, S. 237–275, hier: S. 249 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  13. Astrid Séville: „There is no alternative“: Wie das TINA-Prinzip die Demokratie schwächt, Deutschlandfunk Kultur, 27. Januar 2018
  14. Wie legitim ist das TINA-Prinzip?, koerber-stiftung.de
  15. Michael Richling: Ethik für Fachfremde und Berufseinsteiger 9-10: Komplett ausgearbeitete Unterrichtseinheiten und direkt einsetzbare Praxismaterialien (9. und 10. Klasse). Auer Verlag, 2018, ISBN 978-3-403-07815-9 (google.de [abgerufen am 4. August 2020]).